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Erschienen in:
A. Böckler, 5. Mose 7,6-12: Noblesse oblige,
Junge Kirche 66 (2005), 58-61.

 

Annette Mirjam Böckler

 Deuteronomium 7,6-12

Noblesse oblige

 

            Denn du bist ein dem Ewigen, deinem Gott, geheiligtes Volk. Dich hat der Ewige, dein Gott, erwählt, sein leibeigenes Volk zu sein, aus allen Völkern, die auf der Erde sind. Nicht weil ihr etwa zahlreicher als andere Völker wäret, hat euch der Ewige angenommen und erwählt, denn in Wahrheit seid ihr die wenigsten unter allen Völkern, sondern bloß, weil der Ewige euch liebt und den Eid halten will, den er euren Eltern geschworen hat, hat er euch mit starker Hand aus Mizrajim geführt und aus dem Sklavenhause, von der Hand Pharaos, des Königs zu Mizrajim, errettet. Erkenne also, dass der Ewige, dein Gott, wahrer Gott sei, ein treuer Gott, der seinen Bund hält und Gnade erzeigt denen, die ihn lieben und seine Gebote halten, bis in das tausendste Geschlecht. Seinen Hassern aber vergilt er vor ihren Augen (auf der Stelle) und reibt sie auf. Er trägt es seinem Hasser nicht lange nach, sondern vergilt ihm vor seinem Angesicht. Beachte also das Gebot, die Gesetze und Rechte, die ich dir jetzt zur Ausübung vorschreibe.

 

            Wenn ihre diese Rechte annehmt, sie beachtet und ausübt, so wird der

Erfolg sein, dass der Ewige, dein Gott, auch den Bund und die Gnade halten

wird, die er deinen Eltern geschworen hat.

 

(Nach der Übersetzung von Moses Mendelssohn)

 

Zum liturgischen Kontext von Dtn 7,6-12 im Judentum

            In der jüdischen Tradition gehören die Verse Dtn 7,6-12 liturgisch nicht zusammen. Mit den ersten Sätzen (V. 6-11) endet der Wochenabschnitt "Waetchanan" (Dtn 3,23-7,11), mit dem letzten Satz (V. 12) beginnt der Wochenabschnitt "Ekew" (Dtn 7,12-11,15). "Watechanan" ist die Toralesung am Schabbat nach dem 9. Tag des Monats Aw, der von orthodoxen und konservativen Juden als strenger Fasttag begangen wird, zum Gedenken an die Tempelzerstörung wegen der Sünden Israels. Dieser liturgische Ort prägt das Verständnis dieses Textes. Er betont die tröstenden Sätze in diesem Abschnitt: "Du bist ein dem Ewigen, deinem Gott, geheiligtes Volk. Dich hat der Ewige, dein Gott, erwählt, sein leibeigenes Volk zu sein" (7,6). Gott kann also sein Volk nicht verstoßen, gegen alle Erfahrung, er muss sich seiner erbarmen. Gerade unmittelbar nach dem 9. Aw, der das eigene Bedroht-Sein ins Bewusstsein gerufen hatte, dem Gedenktag an die Zerstörung des ersten Tempels, des zweiten Tempels, der Kreuzzüge, der Vertreibungen, und in einigen Gemeinden auch an die Schoah, tröstet die Erinnerung an das Wesen Israels. Tröstlich ist nach dem 9. Aw auch die Zusage: "Der Ewige, dein Gott, ist wahrer Gott, ein treuer Gott … Seinen Hassern vergilt er vor ihren Augen (auf der Stelle) und reibt sie auf. Er trägt seinem Hasser nicht lange nach, sondern vergilt ihm vor seinem Angesicht" (7,9-11). Es wird also eine Zeit geben, in der Israel nicht mehr von Feinden, "Hassern Gottes", mehr umgeben sein wird. Nach diesem Torabschnitt folgt die Prophetenlesung aus Jes 40,1-26, die diesem Schabbat auch seinen Namen gab: Schabbat Nachamu: Schabbat "Tröstet – tröstet mein Volk, spricht der Ewige, usw.), Jes 40,1. Er ist dieses Jahr am 20. Aug. 2005.

            Vers 12 wird eine Woche später gelesen, an einem normalen Schabbat, Schabbat Ekew (27. Aug. 2005) der keine liturgische Erinnerung an den 9. Aw enthält.

 

Zum liturgischen Kontext von Dtn 7,6-12 im Christentum

            Im Christentum ist Dtn 7,9-12 der vorgeschlagene Predigttext für den 6. Sonntag nach Trinitatis (3. Juli 2005), der unter dem thematischen Akzent "Taufe" steht. "Am 6. Sonntag nach Trinitatis hören wir von der Taufe, daß wir durch sie zu Gottes Volk hineinberufen sind."[1] Diese theologische Aussage erklärt zwar den Bezug zwischen Dtn 7,9-12, einem Text über das Volk Israel, und dem Termin im Kirchenjahr, bleibt aber innerhalb eines deutschen Leserkreises abstrakt, da dem Christentum im Deutschland bisher nie vergleichbare Ausrottungen wie Israel drohten, sie also gerade nicht "hineinberufen" waren. Vor allem aber definieren sich Christen über ihr persönliches Glaubensbekenntnis, nicht über ihre Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Dies zeigt sich daran, dass jeder, der sich zum christlichen Glauben bekennt, Mitglied einer Kirche werden kann. Im Judentum aber entscheidet die jüdische Gemeinschaft ob jemand jüdisch ist oder nicht. Jüdisch wird man nicht durch die eigene Wahl, sondern durch die Mutter oder durch das Rechtsurteil eines Rabbinatsgerichts. In welches "Volk" die Taufe daher "hineinberuft", wäre eine offene Frage in einer christlichen Predigt. Dadurch, dass einzelne Christen sich persönlich für jüdisch halten – wie man es in letzter Zeit öfter erlebt – werden sie nicht jüdisch, im Gegenteil, meistens verhalten sie sich aus jüdischer Sicht ziemlich seltsam. Dtn 7,6-12 am 6. Sonntag nach Trinitatis schafft eine provokative liturgische Situation.

 

Zum literarischen Kontext von Dtn 7,6-12

            Auch in seinem literarischen Kontext ist Dtn 7,6-12 ein höchst provokativer Text. Wenn ihr sesshaft geworden seid, so lehrt Mosche zu Beginn seiner zweiten Rede vor der Eroberung des Landes Kenaan (Dtn 4,44-11,25), dann lasst euch auf keinerlei religiöse Toleranz mit den Bewohnern des Landes ein, mit jenen sieben mächtigen und zahlreichen Völkern, die in 7,1 aufgelistet werden. "Mache keinen Bund mit ihnen und lass ihnen keine Gnade widerfahren. Verschwägere dich nicht mit ihnen. … Gib deine Tochter nicht seinem Sohn und nimm seine Tochter nicht für deinen Sohn. … Ihr müsst vielmehr folgender Gestalt mit ihnen verfahren: ihre Altäre umreißen, ihre Bildsäulen zerschlagen, ihre Haine umhauen und ihre geschnitzten Bilder verbrennen." (7,2-5). Drei triftige Gründe führt Mosche für diese Gebote an – hier setzt der christliche Predigttext ein: Erstens: Israels Sonderstellung unter den Völkern: "Denn du bist ein dem Ewigen, deinem Gott, geheiligtes Volk" (7,6-7). Zweitens: Gott hat Israel aus Ägypten losgekauft (Vers 8). Drittens: Damit es Israel gut gehe (Vers 12-15). Aus diesen Gründen sind jegliche Verträge, erst Recht familiäre Bande zu den Angehörigen anderer Religionen im Land Kenaan strengstens verboten, ja letzten Endes sollen die fremden Religionen vollständig vernichtet werden. Auch ohne seine liturgische Problematik verliert dieser Bibelabschnitt also nichts an seiner Provokation. Schauen wir uns im Folgenden die drei Gründe, aus denen die Perikope besteht, genauer an.

 

I. "Denn du bist ein dem Ewigen, deinem Gott, geheiligtes Volk" (7,6-7).

            Mit drei Begriffen umschreibt Mosche Israels Sonderstellung innerhalb der Völker. Die Reihenfolge steigert sich vom Allgemeinen zum Besonderen: a) Du bist ein dem Ewigen geheiligtes Volk (am qadosch), b) dich hat der Ewige, dein Gott erwählt (bachar), c) um sein leibeigenes Volk (am segulla) zu sein.

            "Heilig" (kadosch) beschreibt in der Bibel keine wesensmäßige Besonderheit, sondern die Absonderung einer Sache oder einer Person für einen bestimmten, festgelegten Zweck. Die Geräte für den Tempelgebrauch wurden zum Beispiel vom alltäglichen Gebrauch ausgeschlossen zum ausschließlichen Gebrauch im Tempel: sie sind heilig. In verschiedenen Zusammenhängen gilt auch das Volk Israel als heilig (Ex 19,5-6; Lev 19,2; Num 15,40; Dtn 7,6, 14,2; 26,19; 28,9). An allen genannten Stellen ist Israels Heilig-Sein klar an das Halten der Gebote Gottes gebunden. Israel ist dann heilig, wenn es die Gebote hält, bzw. es soll heilig sein, d.h. die Gebote halten, um seiner Zugehörigkeit zu Gott zu entsprechen.

            Gott hat Israel "erwählt" (bachar). Das hebräische Wort bedeutet zunächst allgemein etwas auswählen (vgl. Gen 6,2; 13,11; 1Sam 17,40 u.ö.), in der Regel zu einem bestimmten Zweck. So wählte Mosche sich Männer, die seine Arbeit unterstützten (Ex 17,9.25). Bachar bezeichnet häufig die Ausmusterung der Kriegstüchtigen vor einer Schlacht (1Sam 13,2; 2Sam 10,9; u.ö.), "der Ausgewählte" (Bachur) ist das Fachwort für einen Soldaten. Die Auswahl begründet keine ewige Qualität. Gott wählte zum Beispiel Schaul, um König über Israel zu werden (1Sam 10,24), als dieser jedoch seine Rolle nicht mehr gut erfüllte, verlor er Gottes Votum wieder (1Sam 15,11.26). (Die Ewigkeit der Beziehung zwischen Gott und Israel ist in dem Bund mit den Erzvätern begründet, nicht in der Bestimmung zu seinem Auftrag.) Israel wurde dazu gewählt, Gottes Gesetze zu empfangen, um verpflichtet zu werden, sie zu halten. Der Prophet Amos ließ Gott sprechen: "Ich habe euch erwählt aus allen Erdenvölkern, darum ahnde ich an euch all eure Sünden" (Am 3,2). Erwählung ist Erwählung zu gesellschaftlicher Verantwortung.

            Am segulla bringt eine besondere Wertschätzung zum Ausdruck. Der Bibelkommentator Raschi, der zur Zeit des ersten Kreuzzugs lebte und die Zerstörungen der Gemeinden im Rheinland mitbekam, erläuterte: "Segulla ist ein gehüteter Schatz, wie (Koh 2,8): 'Schatz von Königen" (segullat melachim), d.h. kostbare Geräte und edle Steine, die Könige sich erwerben. So seid ihr mir ein Schatz, mehr als die Nationen. Doch ihr sollt nicht sagen: Ihr allein gehört mir und ich besäße keine anderen mit euch zusammen, und was hätte ich sonst noch, um meine Liebe zu euch zu erweisen. Dem ist nicht so, sondern "die ganze Erde ist mein Eigentum" (Ex 19,5), aber sie [die Nationen] sind in meinen Augen und vor meinem Angesicht wie nichts" (Raschi zu Ex 19,5). Nachmanides, der selbst an einer der Zwangsdisputationen teilgenommen hatte, zu der die Kirche seit dem 13. Jh. Vertreter der jüdischen Gemeinschaft vorlud und die meistens mit Vertreibungen oder Bücherverbrennungen endeten, ergänzte: "Ihr werdet ein Schatz (segulla) in meiner Hand sein, denn ein König gibt wertvolle Sachen nicht in die Hand eines anderen" (Nachmanides zu Ex 19,5). Doch auch in der Bezeichnung am segulla schwingt die Verantwortung Israels für die Welt mit, wie es einer der Väter des liberalen Judentums im 19. Jh. formulierte, in England in einer Zeit der religiösen Toleranz: "Diese Worte 'ein ganz besonderer Schatz' dürfen nicht nur dem Wortsinn nach verstanden werden. Wenn ich ein Werkzeug für einen ganz besonderen Zweck erwählt habe, so kann dieses Werkzeug mir ebenfalls ein besonders wertvoller Besitz sein, aber stets ist der Zweck größer als das ihm dienende Werkzeug. So ist es auch mit den Juden. Sie sind Gottes Werkzeug und als solches ein wertvoller Schatz; aber weit größer noch als dieses Werkzeug ist der Zweck, Gottes Zielsetzung" (Claude G. Montefiore, zitiert aus Hertz zu Ex 19,5).

            Alle drei Beschreibungen Israels – heilig, erwählt, Schatz – umschreiben die Verpflichtung, Gottes Gebote zu halten. Die zuletzt angeführten Zitate zeigen jedoch auch die Abhängigkeit der Auslegung von ihrem kulturellen Umfeld. Die Schwerpunkte des Textes verschieben sich je nach der Situation, in der der Text studiert wird.

 

II. Weil der Ewige euch mit starker Hand aus Mizrajim geführt hat (7,8)

            Nicht weil ihr etwa zahlreicher als andere Völker wäret…, sondern bloß, weil der Ewige euch liebt und den Eid halten will, den er euren Eltern geschworen hat, hat er euch mit starker Hand aus Mizrajim geführt (V. 7-8). Die Sonderstellung Israels basiert auf seiner Befreiung aus der Sklaverei durch Pharao zum freiwilligen Dienst für Gott. Als freies Volk stand Israel am Sinai und nahm die Gebote an. Der Hinweis auf die geringe Größe des Volkes hat hier eine literarische Funktion. Die Aussage folgt nach der Liste der "sieben Nationen, die zahlreicher und mächtiger sind als du" (7,1). Ihre Kulte sollen vollständig vernichtet werden und Israel könnte "vielleicht in deinem Herzen sprechen, diese Völker sind größer als ich" (Dtn 7,17). Der Stärke des Götzendienstes und seinen Sicherheiten des materiellen Wohlstandes steht die scheinbare Schwäche des Gottesvolkes gegenüber. Eigentlich aber ist Israel so unzählbar wie die Sterne am Himmel (Dtn 1,10; 10,22; 28,62; u.ö.). Beim Auszug aus Ägypten hat der eine Gott jedoch bereits deutlich gezeigt, wie stark er ist, stärker als alle Götter der Hochkultur Ägypten. Bei der Vernichtung des Götzendienstes kann Israel darauf vertrauen, dass der im Kampf gegen Götter erprobte Gott ihm den Rücken stärken wird. Das Volk Israel, das sich durch den Auszug konstituierte, ist verpflichtet, seinem Wesen, d.h. seiner Freiheit, treu zu bleiben. Daher soll es eine mögliche freiwillige Versklavung an die sieben mächtigen götzendienerischen Völkern im Land Kenaan meiden.

 

III. So wird der Erfolg sein, dass der Ewige, dein Gott, auch den Bund hält (7,12).

            "Gott wird dich lieben, segnen und vermehren. … Es wird unter dir kein Unfruchtbarer und keine Unfruchtbare sein, auch nicht unter deinem Vieh. Alle Krankheit wird der Ewige von dir abwenden, …" (V. 13-15). Vor allem um des eigenen Wohlergehens willen soll der Kontakt mit den sieben mächtigen fremden Völkern im Land Kenaan gemieden werden. Der Bund zwischen Israel und Gott ist ein exklusiver, der per definitionem keine weiteren Bundespartner neben sich erträgt. Israel kann entweder dem Bund mit Gott treu bleiben, oder aber Bundesschlüsse mit den sieben mächtigen und zahlreichen Völkern im Land schließen, jedoch nicht beides parallel. Nachman von Brazlaw sagte einmal: "Wenn Gott nicht unser Gebieter ist, dann sind es Menschen; warum also Sklave von Sklaven sein?" Bundesschlüsse mit den Völkern des Landes versprechen Dtn 7,3 zufolge Ehefrauen und Ehemänner. Der Bruch des Bundes mit Gott hat Unfruchtbarkeit, Krankheit, Krieg, ja letzten Endes sogar den Verlust der materiellen Lebensgrundlage, des Landes, zur Folge (Dtn 30,15-18). Diese Logik scheint den Menschen damals so uneinsichtig gewesen zu sein wie uns heute. Große Könige wie Schlomo und Achaw hatten aus politischen Gründen Frauen aus anderen Völkern, die natürlich ihre eigenen Götter verehrten, Israel verehrte immer wieder den Wettergott Baal, von dem schließlich der Regen abhing, parallel zu Gott und immer wieder mussten Propheten daran erinnern, dass diese Lebenseinstellung am Ende Unglück bringen würde.

 

Zum heutigen kulturellen Kontext: Interreligiöse Gesellschaft ja, Götzendienst nein

            Wir, die wir Dtn 7,6-12 lesen, stehen nicht östlich des Jordans, in antiken Verhältnissen, umgeben von den Kulten der Chittiter, Girgaschiter, Emoriter, Kenaaniter, Perisiter, Chiwiter und Jewusiter. Wir leben in Stadtvierteln mit verschiedenen Strömungen der islamischen Religion, verschiedenen jüdischen Richtungen, verschiedenen christlichen Kirchen und Denominationen. Wir alle teilen eine gemeinsame Vergangenheit und erleben es bis in unsere Gegenwart hinein, dass Menschen sich zu dem Gebot  verpflichtet fühlen:  "Mache keinen Bund mit ihnen und lass ihnen keine Gnade widerfahren. Verschwägere dich nicht mit ihnen. … Gib deine Tochter nicht seinem Sohn und nimm seine Tochter nicht für deinen Sohn. … Ihr müsst vielmehr folgender Gestalt mit ihnen verfahren: ihre Altäre umreißen, ihre Bildsäulen zerschlagen, ihre Haine umhauen und ihre geschnitzten Bilder verbrennen" (7,2-5). Muslime von heute sind jedoch nicht die Chittiter von damals und Christen von heute nicht die Girgaschiter von früher. In unserem Land blühen verschiedene Formen monotheistischer Religionen, die sämtlich den einen Gott verehren, den die jüdische Bibel bekannt machte, wenn auch in kulturell verschiedenen Weisen. Aus jüdischer Sicht reicht es, wenn ein Volk Institutionen zur Rechtspflege hat, Götzendienst und Gotteslästerung verbietet, sowie Unzucht, Mord, Raub und Blutgenuss, Dinge, die auch das Christentum und der Islam lehren. Götzendienst darf man daher heute daher nicht zuerst in anderen Kulturen suchen. Götzendienst ist die religiöse Begleiterscheinung der jeweils eigenen Religion. Damals lehrten die Bewohner des Landes Kenaan, das materielle Wohlergehen hinge vom Wettergott ab, der den Regen pünktlich schickten musste, damit man überleben konnte. Heute werben verschiedene materielle und ideelle Angebote für Sicherheit und Qualität des Lebens. Götter gibt es so viele wie menschliche Persönlichkeiten, die Sicherheit, Würde und Lebensqualität suchen. In einem Midrasch wird Gott einmal vorgeworfen, dass er ja die Materialien für all die Götzen geschaffen hätte, und Gott antwortete: Alles, was da ist, kann zum Götzen werden. ich hätte überhaupt nichts schaffen dürfen, um Götzendienst zu verhindern, keine Sonne, keinen Mond, keine Sterne, etc. Es kommt darauf an, wie wir die Dinge benutzen. Das Judentum lehrt für jegliche Nutzung der Schätze in der Welt den Grundsatz: "Höre Israel, der Ewige, unser Gott, er allein ist Gott" (Dtn 6,4).

 

 

 

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© Dr. Annette Mirjam Böckler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Bibel und Bibelauslegung an der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg. Sie ist Autorin von Gott als Vater im Alten Testament, Gütersloh 2. Aufl. 2002 und Der jüdische Gottesdienst. Wesen und Struktur, Berlin 2002 und verschiedener Artikel im Bereich Bibel und jüdische Liturgie. Sie ist Übersetzerin von Seder ha-Tefillot. Das jüdische Gebetbuch, Gütersloh 1997 und Übersetzerin und Bearbeiterin von W.G. Plaut, Die Tora in jüdischer  Auslegung, 5. Bde. Gütersloh 1997-2004.

 


 

[1] M. Senftleben. Mit dem Kirchenjahr leben, 2. Aufl. Konstanz 1998, S. 72.